Landesbericht der Landtagsfraktion Schleswig-Holstein für BAG Demokratie und Recht vom 22.02.2015
Hier die Forschreibung unseres letzten Landesberichts vom 13.11.2014:
1.
Das Justizministerium in SH geriet wegen einer kurzzeitigen Geiselnahme in der JVA Lübeck am 24.12.2014 in schwere See.
Am Heiligabend 2014 brachten 4 Häftlinge im Rahmen eine Umschlusses einen Vollzugsbediensteten für ca. 10 Minuten in ihre Gewalt und setzten ihm ein anstaltsübliches Frühstückmesser an den Hals. 2 der Häftlinge versuchten auf diese Weise zu erreichen, dass ihnen das Opfer den Weg nach draußen aufschließt. Die Täter wurden nach ca. 10 Minuten überwältigt; ungeklärt ist noch, ob ausschließlich von herbeieilenden Bediensteten oder ob auch andere Häftlinge dabei mithalfen. Unklar ist auch noch, welche Rolle der von den Häftlingen an diesem Tag konsumierter Alkohol spielte (sog. Aufgesetzter).
Zwischenzeitlich wird vom Verteidiger des Haupttäters dargelegt, ein Vollzugsbediensteter habe den schon am Boden fixierten Mandanten noch heftig ins Gesicht getreten und ihn dabei verletzt. Weitere Beteiligte verteidigen sich mit angeblicher Volltrunkenheit.
Dieser für eine JVA noch relativ unspektakuläre Vorgang wurde in der Folgezeit von der Opposition (CDU / FDP und PIRATEN) zu einem riesengroßen Justizskandal aufgebauscht mit Rücktrittforderungen an die Justizministerin Anke Spoorendonk und der Androhung, einen PUA zu beantragen. Wir hatten nach dem Rücktritt der Bildungsministerin Wara Wende und der überraschenden Amtsniederlegung von Innenminister Breitner im Sommer / Herbst 2014 eigentlich gehofft, wieder zu ruhiger Arbeit zurückfinden zu können. Leider setzt sich mit der sog. Geiselnehmeraffäre der in Schleswig-Holstein endemische Hang zur politischen Skandalisierung und inszenierten Staatskrise fort.
Ansatzpunkt für die Opposition war zunächst der Umstand, dass die (neue und für einen modernen Strafvollzug einstehende) Anstaltsleiterin in Lübeck nicht gleich am Tatabend die Kripo und StA einschaltete, sondern mit der Anzeige 22 Stunden wartete. Es wird die Absicht der Vertuschung des Alkoholmissbrauchs in der JVA und der unzulässigen Gewaltanwendung gegenüber dem Haupttäter unterstellt (Stichwort: Beweismittelverlust). Gegen die Anstaltsleiterin wird zwischenzeitlich wegen des Verdachts der versuchten Strafvereitelung ermittelt. Nachdem A. Spoorendonk sich zunächst auf den Standpunkt gestellt hatte, eine unverzügliche Anzeige der Straftat wäre nach dem geltenden Regelwerk in der JVA nicht zwingend vorgeschrieben gewesen, tauchte im Folgenden eine bereits seit längerem existierende Absprache zwischen Anstaltsleitung und StA Lübeck auf, dass in derartigen Fällen eine unverzügliche Unterrichtung der StA zu erfolgen hat. Weil die Anstaltsleiterin das JuMi über diese Absprache nicht informiert hatte, ist sie zwischenzeitlich von der Anstaltsleitung entbunden worden und es wurde ein Disziplinarverfahren eingeleitet.
Auch der in der JVA gültige Alarmplan sieht die unverzügliche Einschaltung von Polizei und StA im Falle einer Geiselnahme vor, wobei hier allerdings zu argumentieren ist, dass dies nur für eine fortdauernde Geiselnahme gilt, nicht für eine solche, die bereits nach wenigen Minuten beendet wurde. Der CDU wurde der (natürlich) streng geheime Alarmplan von Unbekannten zugespielt und von ihr gleich an die Presse weitergeleitet. Auch diesbezüglich laufen jetzt Strafermittlungen.
Hinzu kamen teils öffentliche, teils anonyme Schreiben von Vollzugsbediensteten, die sich bitter über die Personalnot in der JVA Lübeck und den neuen, die Sicherheit in der JVA gefährdenden Führungsstil der Anstaltsleiterin beschwerten. Sie sei im Umgang mit Vollzugslockerungen und Haftraumkontrollen viel zu lasch.
Der mit dem Vorgang verbundene Gerüchtebrei wurde seitens der Opposition dahingehend aufbereitet, Justizministerin Spoorendonk habe als Nicht-Juristin ihren Laden nicht im Griff, informiere die Öffentlichkeit nicht oder falsch, habe keinen Rückhalt in der Richterschaft und Staatsanwaltschaft und sei überhaupt völlig unfähig. Sie müsse daher zurücktreten.
Insbesondere der neue CDU-Oppositionsführer Daniel Günther, der nach Ablösung des eher moderat agierenden Vorgängers ein Mann der scharfen Attacke ist, hat erkannt, dass A. Spoorendonk als einzige SSW-Ministerin eine enorm wichtige Stütze in der Gesamtarchitektur der Landesregierung ist. Natürlich weniger wegen besonders ausgeprägter Fähigkeiten im Justizressort (es gehört noch Europa und Kultur in ihren Bereich), sondern weil sie SSW-typisch für einen pragmatisch-umgänglichen Politikstil steht, der bei einer tendenziell fragileren Dreierkoalition sehr hilfreich ist.
Die ohnehin schon gereizte Stimmung wurde in den letzten Tagen noch einmal kräftig dadurch angeheizt, dass die OLG-Präsidentin aus Schleswig und der LG-Präsident Itzehoe (gleichzeitig ehrenamtlicher Vorsitzender des Landesverfassungsgerichts), die unschlaue aber ehrenwerte Absicht hatten, A. Spoorendonk mit einer Unterstützungserklärung das Vertrauen auszusprechen. Unterschreiben sollten möglichst alle GerichtspräsidentInnen der Landesgerichte und DirektorInnen der größeren Amtsgerichte. Es kam aber nur zu einem entsprechenden Mailverkehr zwischen den RichterInnen, in den passiv allerdings auch das JuMi eingebunden war. Viele RichterInnen wollten wegen Gewaltenteilung und potentieller Befangenheitsgefahr in künftigen Verfahren nicht mitmachen, so dass die Unterstützungsaktion bereits nach 2 Stunden intern wieder abgeblasen wurde. Aber auch dieser Vorgang wurde natürlich an die Presse durchgestochen. Jetzt unterstellte die Opposition, A. Spoorendonk habe die „Ergebenheitsadresse“ praktisch bestellt bzw. trotz Kenntnis des Vorgangs zumindest nicht sofort beendet. Auf Dringlichkeitsantrag der Opposition im Februarplenum des Landtags konnte Spoorendonk diesen Eindruck einer bestellten oder geduldeten Unterstützungserklärung allerdings allein schon auf Grundlage der dokumentierten Zeitabläufe überzeugend zurückweisen. Dennoch sprach Kubicki von „Diktaturverhältnissen“ und „Putinisierung“ im Lande.
Gegen die beiden InitiatorInnen läuft jetzt ebenfalls eine disziplinarische Vorermittlung wegen Missbrauch ihres Amtsbonus für parteipolitische Zwecke, was dem Neutralitätsgebot gemäß Richtergesetz widersprechen könnte.
All das spielt sich vor dem Hintergrund des vorliegenden Entwurfs eines eigenen Landesstrafvollzugsgesetzes in SH ab (wir hatten bereits berichtet). Natürlich nutzt die CDU den „Skandal“ jetzt dazu, ein reaktionäres, vor allem auf einen eingeschränkten Sicherheitsdiskurs fokussiertes Modell von Strafvollzug zu propagieren. Wir werden dem bereits am 10.03.2015 in Lübeck auf einer Podiumsdiskussion mit VollzugsexpertInnen entgegentreten, bei der der Gesetzesentwurf vorgestellt und erläutert wird. Immerhin führt die breite Pressebegleitung über die „Geiselnehmeraffäre“ zu erhöhter öffentlicher Aufmerksamkeit hinsichtlich eins rechtspolitischen Bereich, der in der Publikumswahrnehmung meistens, aber zu Unrecht ein Schattendasein führt.
2.
Die Beratungen über das neue schleswig-holsteinische Versammlungsfreiheitsgesetz stehen kurz vor dem Ende, so dass es im März oder spätestens April in 2. Lesung verabschiedet werden kann. Die koalitionsinternen Abstimmungen verliefen erfreulich, es wird also tatsächlich ein sehr freiheitsorientiertes Gesetz kommen (wir hatten bereits umfangreich darüber berichtet). Es soll aber erst ab dem 01.07.2015 in Kraft treten. Dies spielt deswegen eine Rolle, weil am 14. und 15.04.2015 in Lübeck mitten in der historischen Altstadt das G7-Außenministertreffen stattfinden wird mit einem enormen Sicherheitsaufwand. Es werden ca. 3.300 Polizeikräfte zusammengezogen (allein 1.700 aus SH). Mindestens 3 Demonstrationen von G7-Gegnern sind bereits angemeldet und teilweise auch schon genehmigt. Seitens des Innenministeriums wurde darum gebeten, das neue Versammlungsgesetz erst nach diesem Ereignis in Kraft treten zu lassen, weil es neben den äußerst anspruchsvollen technischen und materiellen Vorbereitungen der Polizei- und Sicherheitskräfte auf das Gipfeltreffen eine zusätzliche Belastung darstellen würde, wenn sich die Versammlungsbehörde und die Polizei zusätzlich noch auf ein neues, teilweise schon deutlich vom gewohnten Bundesversammlungsrecht abweichendes Recht einstellen müssten. Diesem nachvollziehbaren Wunsch konnten und wollten wir uns nicht verschließen.
3.
Einen großen Raum in der öffentlichen Debatte nimmt nach wie vor der von der Landesregierung geplante Stellenabbau von real 122 Stellen bei der Landespolizei (insgesamt über 6.000 in den Bereichen Sicherheit / Ordnung und Ermittlungen Aktive) ein.
Als überschuldetes Konsolidierungsland mit Schuldenbremse in der Landesverfassung müssen wir bis 2020 dem Bund den Abbau von 10 % aller LandesbeamtInnenstellen nachweisen. Der Polizeibereich wird mit den erwähnen Abbaustellen nur äußerst unterdurchschnittlich betroffen sein. Es geht vor allem um den Abbau von 60 Stellen bei der Wasserpolizei, der Auslagerung von Polizei-IT-Spezialaufgaben in die landeseigene Softwarefirma „DataPort“ (zusammen mit HH) und den Abbau des Landespolizeiorchesters (22 Stellen). Dennoch macht auch hier die Opposition, attestiert von GdP und DPolG ein Riesengeschrei, ohne allerdings Alternativen aufzuzeigen oder eine Aufgabenkritik für den Polizeibereich zu entwickeln. Verwiesen wird dabei auf die gesteigerten Gefahren im Zusammenhang mit islamistisch motivierten Terror-Anschlägen und auf die Steigerung der Kriminalitätsfelder Internetkriminalität, Einbruchsdiebstahl sowie Kinderpornographie.
In der Tat machen uns die vielen Einbruchsdiebstähle im sog. Speckgürtel um Hamburg vor allem im Nahbereich von Autobahnen und die hier geringe Aufklärungsquote (ca. 10%) Sorgen. Da es sich aber um ein länderübergreifendes Phänomen mit überwiegender,sehr mobiler Bandenstruktur handelt, kommt es nach unserer Ansicht vor allem auf länderübergreifende Polizeikooperation an. Diese findet seit über einem Jahr verstärkt statt und hat zumindest zu einem Abbremsen der Steigerungszahlen in diesem Bereich geführt.
4.
Die Einrichtung einer Polizeibeauftragtenstelle in SH ist auf einem guten Weg (wir berichteten bereits). Zwischenzeitlich wurde die Einrichtung einer Polizeibeauftragtenstelle auch vom neuen Innenminister Stefan Studt (SPD) anlässlich einer Pressekonferenz im Zusammenhang mit der Stelleneinsparung bei der Landespolizei verkündet, so dass es auch insoweit kein Zurück mehr gibt. Wir gehen von einer Einrichtung in diesem Jahr aus.
5.
Enorme Herausforderungen stehen dem Land mit der Aufnahme von mehr Flüchtlingen bevor. Bereits für den Haushalt 2015 wurden zusätzlich 53 Mio. € für eine ordentlich Aufnahme und sofort einsetzende Integrationsarbeit eingestellt. Bundesweit für Aufregung (besonders beim BMI und de’Maiziere) sorgte der Umstand, dass SH neben Thüringen auch in diesem Winter wieder einen Winterabschiebestopp verfügte und damit wenigstens kurzfristig die Erweiterung der sicheren Herkunftsländer konterkarierte.
Anlässlich einer Regierungserklärung im Februarplenum hat Ministerpräsident Albig die Zahl der in 2015 für SH erwarteten Flüchtlinge von vormals 10.000 auf 20.000 korrigiert. Die Erstaufnahmekapazitäten in der einzigen Landeseinrichtung in Neumünster platzen aus allen Nähten. Eine Kaserne in einer kleinen Nachbargemeinde soll jetzt hinzukommen. Die diesbezüglichen bürokratischen Abläufe erweisen sich nach unserem Geschmack allerdings als zu zäh und langsam. Dies führt dazu, dass die Flüchtlinge bereits nach 10 Tagen in der Erstaufnahme auf die Kommunen verteilt werden, die ebenfalls einige Not bei der Unterbringung haben. Insgesamt ist die Bevölkerung in den Kommunen überwiegend positiv der Flüchtlingsaufnahme gegenüber eingestellt. Es haben sich sehr viele ehrenamtliche UnterstützerInnenkreise gebildet und „Runde TischeWillkommenkultur“. Dies unterscheidet deutlich die gegenwärtige Stimmung im Verhältnis zu den 1990er Jahren. In Lübeck (4.500 TeilnehmerInnen), Flensburg (über 3.000) und Kiel (über 11.000) gab es große Anti-Pegidamanifestationen. Fremdenfeindliche und antimuslimische Demonstrationen nach dem Muster der Pegida gab es im Lande bisher nicht. Nur im Internet toben sie sich aus und sind hier sehr stark von der NPD unterwandert.
Dennoch gibt es auch fremdenfeindlich motivierte Anschläge auf Flüchtlingsunterkünfte. In Grabau/Kreis Stormarn wurde kurz nach Sylvester ein Nebeltopf im Flur einer Gemeinschaftsunterkunft gezündet, Verletzte gab es nicht, Täter sind noch nicht gefasst.
Schlimmer war ein Brandanschlag mit einem Brandbeschleuniger auf ein für die Unterbringung von Flüchtlingen vorgesehenes Haus in Escheburg bei Hamburg am 09.02.2015, bei dem erheblicher Sachschaden entstand. Die Flüchtlinge aus dem Irak sollten am nächsten Tag einziehen. Die Tat ist zwischenzeitlich aufgeklärt. Ein unmittelbarer Hausnachbar hat gestanden. Schon zuvor gab es massive verbale und schriftliche Proteste von Nachbarn, die einen Wertverlust für ihre Eigenheime befürchteten und dass die männlichen Iraker sich z.B. an den Kindern der Nachbarschaft vergreifen könnten. Gerade dieser Anschlag zeigt deutlich, dass Fremdenfeindlichkeit, gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit und irrationale Ängste tief in der sog. Mitte der Gesellschaft verankert sind. Escheburg ist eine durchaus wohlhabende Gemeinde, die betroffene Siedlung mit dem Haus liegt in unmittelbarer Nähe zu einem Golfplatz. Eine Verbindung zu rechtsradikalen Organisationen ist dem Täter und seinem Umfeld bislang nicht nachzuweisen.
Der Vorfall belegt daher, dass die kommunale Unterbringung von Flüchtlingen zukünftig besser vorbereitet und mit der Bevölkerung kommuniziert werden muss. Dies bedingt aber auch, dass die kommunale Unterbringung einen längeren zeitlichen Vorlauf haben sollte, damit sich die Gemeinden besser vorbereiten zu können. Das setzt zwingend den beschleunigten Ausbau der Erstunterbringungskapazitäten als Zeitpuffer in freistehenden Landes- und Bundesliegenschaften voraus. Innovativ ist in diesem Zusammenhang der Plan, Flächen und Gebäude in den bestehenden Universitätsstandorten in Kiel, Lübeck und Flensburg zu nutzen. Hier wäre zumindest ein sehr migrationsfreundliches und aufgeschlossenes soziales Umfeld gegeben.
Burkhard Peters, Kiel den 22.02.2015
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