Landesbericht Schleswig-Holstein für BAG Demokratie und Recht 28. und 29.09.2013

Seit dem letzten Landesbericht vom 12.05.2013 gibt es aus dem Landesparlament in Schleswig-Holstein einiges Neues zu berichten:
Das Landesverfassungsgericht hat am 13.09.2013 auf die Wahlanfechtungsklagen einiger Jung-Unionisten und des Landesvorsitzenden der NPD entschieden, dass die Einsprüche gegen die Feststellung des amtlichen Wahlergebnisses allesamt unbegründet sind.
Es hat damit festgestellt, dass es sehr wohl eine aktive nationale Minderheit der Dänen in SH gibt ( dies wurde insbesondere von der Jungen Union bezweifelt) und dass ihre Privilegierung im Landeswahlgesetz durch die Nichtanwendung der 5%-Klausel auf den SSW als ihre politische Vertretung wahlrechtlich nicht zu beanstanden ist, auch wenn sich der SSW zu allen denkbaren politischen Fragen im Lande äußere und auch im ganzen Land mit einer Landesliste antrete. Der in den sog. Bonn-Kopenhagener-Erklärungen und der in der Landesverfassung verankerte Minderheitenschutz stellt nach dem LVerfG einen zwingenden Grund dafür dar, im Falle des SSW vom strengen Grundsatz der Stimmwertgleichheit abzuweichen. Die in Schleswig-Holstein auf dieser Grundlage seit 1955 praktizierte Minderheitenpolitik sei für ganz Europa ein Musterbeispiel für eine gelungene Integrationspolitik im Umgang mit einer nationalen Minderheit. In einem Punkt fiel die Entscheidung jedoch denkbar knapp aus: 3 der 7 RichterInnen (Konservative) vertraten in einem Minderheitenvotum die Ansicht, dem Minderheitenschutz sei auch Genüge getan, wenn dem SSW im Landtag lediglich ein Grundmandat gewährt würde. Hätte sich diese Meinung bei nur einem anderen Richter durchgesetzt (der mit der Mehrheit stimmende Präsident des LG Itzehoe kam ebenfalls auf CDU-Ticket in das Gericht !), wären Neuwahlen eine mögliche Folge gewesen. Man war aber wohl überwiegend der Meinung, einer gewählten Landesregierung nach 1 ½ Jahren nicht schon wieder die wahlrechtliche Legitimität absprechen zu können, wie es 2010 geschehen war.
Die Piraten und insgeheim wohl auch die FDP hätten es gern gesehen, wenn das Gericht mutiger gewesen wäre und die 5%-Klausel insgesamt in Frage gestellt hätte verbunden mit der Aufforderung an den Landtag, die 5%-Klausel im Landeswahlrecht bis zu nächsten LT-Wahl z.B. in eine 3 %-Klausel umzuwandeln. Diese Möglichkeit war im Vorfeld der Entscheidung von vielen Kommentatoren durchaus als naheliegend bezeichnet worden.
Nun bleibt alles wie es ist und wir können weiter rot-grün-blaue Politik im Lande machen.
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Die landesgesetzliche Regelung zur Bestandsdatenauskunft im Landespolizeirecht und Landesverfassungsschutzgesetz ist zwischenzeitlich verabschiedet worden. Die in SH gefundene Lösung ist in beiden Gesetzen deutlich bürgerrechtsfreundlicher und datenschutzbetonter ausgefallen als bei den entsprechenden Regelungen auf der bundesgesetzlichen Ebene oder in anderen Bundesländern (z.B. Richtervorbehalt bei der Abfrage von IP-Adressen und hohe Eingriffsschwellen im Bereich des Gefahrbegriffes). Die Mitglieder der Piratenfraktion werden dennoch erneut Klage dagegen vor dem BVerfG erheben.
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Eine große Anfrage der Piraten zur Funkzellenabfrage in Schleswig-Holstein ergab, dass diese auch hier teilweise exzessiv eingesetzt wird. Sehr auffällig war jedoch, dass sie in einigen Landgerichtsbezirken (z.B. Flensburg) sehr selten praktiziert wurde, während sie bei den Staatsanwaltschaften anderer Landgerichtsbezirke äußerst beliebt ist (z.B. Kiel). Deutlich wurde auch, dass die mit ihr verbundenen Ermittlungs- und Aufklärungserfolge als marginal zu bezeichnen sind. Die Ergebnisse der Anfrage werden im Innen- und Rechtsausschuss nun genauer unter die Lupe genommen.
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Beim Versammlungsgesetz für SH ist zwischenzeitlich die schriftliche Anhörung im Ausschuss abgeschlossen und wird ausgewertet. Es wird eine mündliche Anhörung geben. Von fortschrittlichen Institutionen und Verbänden (HU, Amnesty International, NRV, RAV aber auch DAV) wurden vor allem die für die Polizei vorgesehenen Dokumentationsrechte in Form der Übersichtsaufnahme kritisiert, aber auch die Möglichkeit, im Vorfeld bekannte Gewaltbereite von der Teilnahme ausschließen zu können und unter bestimmten Umständen Einfluss auf die Auswahl der von der Versammlungsleitung bestimmten Ordner nehmen zu können. Gegen zähen Widerstand der Polizeiabteilung im Innenministerium ist es uns allerdings gelungen, im Bereich der Übersichtsaufnahmen wenigstens die Übersichtsaufzeichnung auszuschließen. Auch die zunächst vorgesehen Kontrollstelle findet sich jetzt nicht mehr im Gesetzentwurf. Hier ist allerdings zu beachten, dass sie bislang im allgemeinen Polizeirecht des Landes SH vorgesehen ist. Unserer Ansicht nach verdrängt aber das insoweit speziellere neue Versammlungsgesetz die entsprechende Norm im allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht. Die von uns Grünen in einem Versammlungsgesetzentwurf in der vorangegangenen Wahlperiode vorgeschlagene unabhängige Demonstrationsbeobachtung wurde von uns fallengelassen wegen erheblicher rechtlicher und praktischer Bedenken. Insgesamt haben wir Grünen bei der Vorbereitung des Koalitionsentwurfs feststellen müssen, wie eisenhart die Polizeiabteilung des Innenministeriums die teilweise sehr grundrechtsproblematischen Polizeiinteressen durchzusetzen versteht. Die SPD ist in diesem Bereich sehr nachgiebig, meist mit dem Argument, ’stellt Euch doch vor, da kommen die Neonazis und machen dies und das. Das könnt Ihr doch nicht wollen, dass die das dürfen!’ Hier wird es auf dem Weg zur 2. Lesung noch einige Auseinandersetzungen geben müssen.
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Vor der Sommerpause wurde ein sehr fortschrittliches Jugendarrestvollzuggesetz vom JuMi eingebracht, dass sehr stark den Erziehungs- und Unterstützungsgedanken betont und die Kooperation der unterschiedlichen Jugendeinrichtungen vor allem auch mit den Eltern vorschreibt. Da der Jugendarrest wegen seiner zeitlichen Begrenzung wenig Einfluss während der eigentlichen Arrestzeit ermöglicht (Kurzzeitintervention), wird besonderes Gewicht auf die Nachbetreuung durch Jugendbehörden, Schulen und freie Träger gelegt. Der SH-Gesetzentwurf trägt eine starke grüne Handschrift und hat unseres Erachtens Vorbildcharakter für andere Länderlösungen.
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Zurzeit bereitet das JuMi Gesetzentwürfe für ein Landesstrafvollzugsgesetz und Jugendstrafvollzugsgesetz vor. Leider sind wir in diesem Bereich – anders als beim JugendarrestvollzugsG – bislang noch nicht einbezogen worden. Wir befürchten, dass diese Entwürfe weniger ambitioniert ausfallen und wollen jetzt von der grünen Fraktion aus initiieren, dass die Koalition mit einem Eckpunktekatalog progressiven Einfluss auf die Entwürfe nimmt (z.B. keinen Arbeitszwang, eigenständige Vergütungstatbestände für die Teilnahme an Behandlungsmaßnahmen sowie Schul- und Qualifizierungsmaßnahmen, Wohngruppenvollzug, Verbot des Schusswaffeneinsatzes in der Anstalt, gesetzlicher Anspruch auf Lockerungen und offenen Vollzug unter klar definierten Voraussetzungen, klare Regelungen zur Arbeitslosenversicherung/ Krankenversicherung und Rentenversicherung während des Vollzugs).
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Innenpolitisch wird zurzeit im Lande die Neuordnung des kommunalen Finanzausgleich heiß diskutiert. Das Innenministerium plant eine Änderung des Kommunalausgleichgesetzes (KAG), welches erstmals das Kriterium der konkreten Aufgaben der jeweiligen kommunalen Gebietskörperschaft in den Mittelpunkt der Verteilung stellt (bislang nur Einwohnerzahl und Steuerkraft der jeweiligen Kommune). Der alte KFA führte zu einer dramatischen Verschuldung der 4 kreisfreien Städte im Land und der größeren kreisangehörigen Städte und Gemeinden. Dies vor allem deswegen, weil in diesen Kommunen mehr Menschen in Bedarfsgemeinschaften nach dem SGB II leben. Außerdem nehmen die Städte und größeren Gemeinden oft teure Aufgaben im kulturellen und schulischen Bereich für ihre kleineren Umlandgemeinden wahr. Ein wissenschaftliches Gutachten eines Wirtschaftsinstitutes aus Hannover belegte, dass der bisherige KFA viele Städte und größere Gemeinden im Land zu gering finanziell ausstattete. Nach den jetzigen Plänen kommt es zu einer Umverteilung vor allem zu Lasten der 11 Kreise im Land. Diese schreien Zeter und Mordio. Die „kommunale Familie“ erweist sich, wenn es ums Geld geht, als reines Haifischbecken. Keiner gönnt dem anderen das Schwarze unter dem Fingernagel. Die CDU hatte zunächst propagiert, die rot/grün/blaue Koalition wolle über den KFA eine Gemeindegebietsreform durch die kalte Küche in SH installieren (wir haben über 1.100 Kommunen im Land bei 2,7 Mio EinwohnerInnen, da müsste man endlich mal ran, was sich aber keiner traut). Da aber auch die meisten Gemeinden von der Reform profitieren, wurde der CDU dieses Argument jetzt aus den Händen geschlagen. Umso stärker proben nun die Landräte der Kreise (überwiegend CDU-Gewächs) den Aufstand. Wir Grünen stehen fest an der Seite des Innenministers.
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Die Reform der Landesverfassung ( s. Punkt 6 des letzten Berichts) geht munter voran. Aus Sicht der BAG ist vor allem die Beratung der Frage interessant, ob es beim hiesigen Verfassungsgericht eine eigene Landesverfassungsbeschwerde geben soll und worauf sich diese erstrecken soll (nur auf landesspezifische Grundrechte oder über die vorhandene generelle Verweisungsnorm auch auf die Grundrechte des GG). Noch spannender für viele Mitglieder unserer BAG dürfte sein, dass zum Arbeitsprogramm der Verfassungsreformkommission auch die Frage gehört, ob eine Vorschrift zur Autonomie der Justiz aufgenommen werden soll. Dieser Punkt kommt ziemlich am Schluss im Frühsommer 2014 zur Sprache. Wir Grüne werden uns für eine entsprechende Vorschrift in der Landesverfassung stark machen und sind für Anregungen aus dem Kreis der BAG-Mitglieder sehr dankbar.
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Heiß diskutiert wurde in unserer Fraktion zuletzt, ob im Rahmen eines mit Hamburg zusammen eingerichteten Antikorruptionsregisters verfassungsrechtliche Bedenken im Zusammenhang mit der Eintragung von Firmen und Unternehmen in das Register bestehen, weil diese auch eingetragen werden können, wenn es zu einer Einstellung eines entsprechenden Strafverfahrens gem. § 153 a StPO gekommen ist und vor allem auch dann, wenn das entsprechende Straf- oder Owi-Verfahren noch nicht abgeschlossen ist, aber eine erdrückende Beweislage zu Lasten der Firma gegeben sein soll. Wir hatten massive Bedenken unter dem Gesichtspunkt der Unschuldsvermutung. Die Justizsenatorin aus Hamburg stellte sich in einem Rechtsgutachten zu dieser Frage aber auf den Standpunkt, der Gedanke der Unschuldsvermutung spiele in diesem Zusammenhang keine Rolle, weil es sich bei der Regelungsmaterie nicht um eine solche des Strafrechts handele, sondern um Vergaberecht, also um Zivilrecht im weiteren Sinne. Ich habe da nach wie vor meine Bedenken. Wir mussten uns aber der Koalitionsräson beugen.
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Am 26.09.2013 hat der Landtag mit den Stimmen von SPD, Grünen, SSW, Piraten und FDP gegen die Stimmen der CDU einen BR-Initiativantrag zur Verbesserung der Lage der AsylbewerberInnen und Geduldeten verabschiedet, der sich für die bundesweite Aufhebung der Residenzpflicht einsetzt, die ersatzlose Aufhebung des Asylbewerberleistungsgesetzes fordert und die Aufhebung der Restriktionen bei der Arbeitserlaubnis für die Betroffenen fordert.
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Auf der Agenda der grünen Fraktion steht für den Rest des Jahres die im Koalitionsvertrag vereinbarte Einrichtung einer Polizeibeobachtungsstelle bei der Bürgerbeauftragten für soziale Fragen des Landes. Hier müssen wir zunächst unsere Koalitionspartner im Detail überzeugen, die von dem Projekt alles andere als begeistert sind. Die bisherige Opposition in Hessen, die Regierungen in Rheinland-Pfalz und BaWü gehen uns aber mutig voran, so dass auch wir jetzt konkret einen Entwurf für SH vorlegen wollen. Da es bislang in SH zu keinen gravierenden bzw. überregional bekannt gewordenen Fällen polizeilichen Missbrauchs von Gewalt etc. gekommen ist, haben wir natürlich ein gewisses Vermittlungsproblem. Aber da wir auch die Polizeikennzeichnung bei geschlossenen Einsätzen (wenigstens auf dem Erlasswege) durchgesetzt haben, sind wir auch diesbezüglich guten Mutes, eine gute Lösung zu schaffen.
Burkhard Peters, Kiel den 27.09.2013
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