zum inhalt
Links
  • gruene.de
  • gruene-jugend.de
StartseiteKontaktSitemapSucheImpressumDatenschutz
Burkhard Peters
Menü
  • Zur Person
    • Ämter und Ausschüsse
    • Transparenz
    • Meine Themen
    • Landesliste
  • Presse
    • Meine Reden
  • Veranstaltungen und Berichte
  • Aktuelles
  • Kontakt + Mein Team
Burkhard PetersPresseMeine Reden

Rede vom 20.11.13: Das Geld für den Forschungsantrag ist gut angelegt

Es gilt das gesprochene Wort!

Zu TOP 18 – Geschichtswissenschaftliche Aufarbeitung der Kontinuität nach 1945 sagte der innenpolitische Sprecher der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Burkhard Peters:

 

Das Geld für den Forschungsantrag ist gut angelegt

Bei der Lektüre des Antrags mögen sich manche gefragt haben: Was ist ein Forschungsdesiderat? Man versteht in der Wissenschaft darunter ein Thema, von dem gewünscht wird, dass sich die Forschung endlich seiner annimmt. Es handelt sich also um eine Art dunklen Fleck, der dringend durchleuchtet werden sollte.

Dass wir uns hier und heute mit dem blinden Fleck „Nazikontinuität in Schleswig-Holstein nach 1945“ befassen, geht allerdings weit über das Interesse eines historischen Hochschulseminars / einer historischen Erforschung hinaus. Unser gemeinsames Erkenntnisinteresse an der aufgeworfenen Frage ist politisch begründet. Denn es liegen deutliche Anhaltspunkte dafür vor, dass auch Landtag und Verwaltung in Schleswig-Holstein in der frühen Nachkriegsgeschichte in besonderer Weise Schlupfwinkel für Nationalsozialisten gewesen sind.

Es freut mich, dass wir alle davon überzeugt sind, dass es sich keineswegs um eine akademische Frage handelt. Es ist zu vermuten, dass der vom ehemaligen Innenminister Paul Pagel bereits 1950 beklagte Tatbestand der „Renazifizierung“ von Politik und Verwaltung in Schleswig-Holstein nicht nur massive Folgen für das Ansehen des Landes hatte. Auch für die Kultur und das Klima der politischen Auseinandersetzungen zwischen Regierung und Opposition bis in die jüngste Vergangenheit soll die Renazifizierung gravierende Folgen gehabt haben.

Noch kürzlich konnte man in Presseberichten über den Kieler „Steuerdeal“ lesen, die oft giftigen Formen der Auseinandersetzungen um tagespolitische Fragen in Schleswig-Holstein hätten bis heute auch damit zu tun, dass die Sozialdemokratie und der SSW in den 1950er und 1960er Jahren zähneknirschend mit ansehen mussten, wie die konservative Mehrheit ab der Landtagswahl 1950 das Land zu einem „Hort der braunen Reaktion“ (Zitat: DIE ZEIT vom 26.01.1990) gemacht habe.

Und in der Tat: die ab 1950 unter dem Ministerpräsidenten Bartram gebildete Regierung, die sich auf eine Koalition von CDU, FDP, DP und dem „Block der Heimatvertriebenen und Entrechteten“ (BHE) stützte, brachte bereits im ersten Regierungsjahr ein „Gesetz zur Beendigung der Entnazifizierung“ ein, welches die von den Alliierten vorgeschriebene Entnazifizierung in Schleswig-Holstein tatsächlich stoppte. Ein in der Bundesrepublik in dieser Radikalität einmaliger Vorgang.

Der SPD-Abgeordnete Käber merkte in der Landtagsdebatte bissig an, das Gesetz sei unvollständig. Es müsste einen Paragraphen enthalten, dessen erster Absatz heißen solle: „Schleswig-Holstein stellt fest, dass es in Deutschland nie einen Nationalsozialismus gegeben hat“ und in Absatz 2 solle stehen: „Die von 1933 bis 1945 begangenen Untaten gegen Leben und Freiheit von Millionen Menschen sind eine böswillige Erfindung.“

Folge dieses Gesetzes war, dass tatsächlich ab 1951 in der schleswig-holsteinischen Verwaltung und Rechtspflege/Justiz hochbelastete ehemalige Nationalsozialisten Unterschlupf finden konnten, die in anderen Bundesländern keine Chance auf Einstellung in den öffentlichen Dienst gehabt hätten. Dies geht aus der Antwort der Landesregierung vom 06.12.1989 auf eine Große Anfrage der SPD-Fraktion zum Rechtsextremismus in Schleswig-Holstein hervor (Drucksache: 12/608). Dieses im Landtagsinformationssystem gespeicherte Dokument ist übrigens ein sehr guter Einstieg in die Thematik. Man kann ihm u.a. entnehmen, dass 1950 ausgerechnet ein ehemaliges NSDAP-Mitglied zum „Sonderbeauftragten für die Entnazifizierung“ bestimmt wurde.

Schon diese Hinweise zeigen, dass sich in der frühen Nachkriegsgeschichte in Schleswig-Holstein offenbar eine politische Katastrophe abgespielt hat, die bis heute nicht aufgearbeitet worden ist und die uns wie ein Splitter in der Haut steckt. Es drängt sich die Frage auf, warum nicht schon viel früher das jetzt eingeleitete Projekt auf den Weg gebracht wurde. Gab es ein Kartell der Verdrängung? Wollte man den Ruf verdienstvoller und angesehener Politiker und Beamter schonen? Es ist höchste Zeit, dass wir jetzt den Weg für eine wissenschaftliche Aufarbeitung dieses Komplexes ebnen.

Dabei taucht aber ein Problem auf: Wenn sich die Politik der Geschichte annimmt, besteht das Risiko ihrer Instrumentalisierung. In der Beilage zur Wochenzeitung „Das Parlament“ vom 14.10.2013 schreibt der Historiker Professor Sabrow unter dem Titel „Geschichte als Instrument“: „Mit dem Lobpreis der Muse Klio verbindet sich seit jeher die Klage über ihren Missbrauch“.

Was wir heute auf den Weg bringen, ist politisch motivierte Auftragsforschung. Die ist dann gerechtfertigt, wenn der Auftrag nicht mit vorher definierten Erwartungen an das Ergebnis verbunden wird. Es soll nicht um das Aufmachen alter Rechnungen gehen.

Zur Offenheit des Projektes gehört z.B. die Erforschung der Frage, ob es Alternativen für die damals politisch Verantwortlichen gegeben hat. Staat und Verwaltung mussten ja reorganisiert werden. Ein Großteil der für diesen Job Ausgebildeten war im Krieg gefallen oder befand sich in Kriegsgefangenschaft. Wer sollte es machen?

Oder mussten im Zuge der Einstellung von Nazis unbelastete Stelleninhaber gehen? Spannend ist auch die Frage, ob es bei eingestellten Nazis in der praktischen Tätigkeit im demokratischen Staat nachhaltige Läuterungsprozesse gegeben hat und wie diese sich äußerten.

Nicht zuletzt bedarf die These, die Beendigung der Entnazifizierung in Schleswig-Holstein habe das politische Klima zwischen Regierung und Opposition für viele Jahre vergiftet, einer kritischen Prüfung.

Der Antrag gibt ausreichend Raum für eine kritische, wissenschaftliche Forschung dieser Fragen. Es geht nicht nur um die Darstellung von ein paar besonders markanten Biografien - sozusagen ein „Who Is Who“ der Altnazis in Landesdiensten - sondern um umfassenden Erkenntnisgewinn. Dies unterscheidet das Projekt auch von ähnlichen Vorhaben in anderen Landesparlamenten.

Das Beste an dem Antrag ist aber, dass er von allen Fraktionen dieses Hauses gemeinsam eingebracht wird. Dafür gilt mein besonderer Dank an alle Kolleginnen und Kollegen. Schon diese Tatsache leistet einen wirklichen Beitrag zur Förderung der politischen Kultur in Schleswig-Holstein. Ich bin überzeugt, das Geld für den Forschungsauftrag ist gut angelegt. Ich freue mich auf das Ergebnis und die Diskussionen, welche die Forschungsarbeit auslösen wird. 

zurück