Rede vom 27.09.2012: Burkhard Peters zum Entwurf eines Gesetzes zum Versammlungsrecht
Demonstrationen sind ein hohes Gut
Sehr geehrte Frau Landtagspräsidentin, sehr geehrte Damen und Herren.
Wir Grünen haben von allen demokratischen Parteien der Bundesrepublik offenkundig das intensivste man kann ja fast sagen innigste - Verhältnis zum Demonstrieren. Ich brauche nur einige Namen zu nennen und Sie wissen, was gemeint ist: Rudi Dutschke, Daniel Cohn-Bendit, Joschka Fischer oder Petra Kelly
Unsere Partei ist im Grunde auf der Straße geboren. Sie ist ein Kind des rebellischen Geistes und des zivilen Ungehorsams, welcher seit 1968 viele große Konflikte der Bundesrepublik begleitet hat. Z.B. den Ausbau der Atomkraft, die militärische Nachrüstungsdebatte um den NATO-Doppelbeschluss und die Auseinandersetzungen um infrastrukturelle Großvorhaben wie etwa den Ausbau des Frankfurter Flughafens oder zuletzt das Projekt Stuttgart 21. Alle diese gesellschaftlichen Auseinandersetzungen waren begleitet von Demonstrationen und Versammlungen mit teilweise gigantischen Teilnehmerzahlen. Zur Erinnerung: 500.000 Demonstrantinnen und Demonstranten versammelten sich allein 1983 bei einer Kundgebung in Bonn gegen den Nato-Doppelbeschluss. Viele Mitglieder unserer Partei haben an diesen und anderen Demonstrationen teilgenommen, haben am eigenen Leibe die blauen Flecke gezählt, die Schläge mit einem polizeilichen Gummiknüppel hinterlassen.
Das ist Gott sei Dank Vergangenheit und soll sich nicht wiederholen. Stuttgart 21 zeigt aber auch, wie schnell eine friedliche Demonstration friedlicher Schülerinnen und Schüler fürchterlich aus den Fugen geraten kann, wenn Kooperationsgespräche nicht stattfinden und kein ausreichendes polizeiliches Konfliktmanagement vorgehalten wird.
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
der erwähnte geschichtliche Hintergrund prägt daher unseren grünen Blick auf die Frage, wie ein modernes und demokratisches Versammlungsrecht ausgestaltet werden soll: Aus unserer Sicht ist die Demonstration und die Versammlung nicht ein ordnungsrechtlicher Ausnahmezustand, eine teure und lästige Störung des normalen Laufes der politischen Dinge. Demonstrationen und Massenproteste sind keine Erscheinungen, die rechtlich und praktisch allein mit den Mitteln einer möglichst effizienten polizeilichen Beherrschung der Lage geregelt und gemanagt werden sollten. Wir setzen nicht in erster Linie auf Eingriff, Einschränkung und Kontrolle.
Die Versammlung und die Demonstration ist aus unserer Sicht vielmehr eine in hohemMaße erwünschte und auch notwendige Einmischung der Bürgerinnen und Bürger in die aktuellen politischen Auseinandersetzungen in der Gesellschaft. Das haben die bereits erwähnten großen Protestbewegungen der vergangenen Jahrzehnte bewiesen:
- Die eruptiven Demonstrationen der 68-er gaben den Anstoß, die verkrusteten Nachkriegsverhältnisse nachhaltig im Sinne einer demokratischeren und toleranten Bundesrepublik zu wandeln,
- die Friedensbewegung hat zur Überwindung der Blockspaltung der Welt und ihrer verheerenden militärischen Logik beigetragen,
- die Jahrzehnte währenden Massenproteste gegen den Ausbau der Atomkraft haben sich letztlich als von Anfang an begründet erwiesen.
Allen diesen Auseinandersetzungen ist gemeinsam, dass sie sich von Anfang an und teilweise sehr langwierig gegen die parlamentarischen Strukturen der repräsentativen Demokratie konfliktreich durchsetzen mussten. Die Polizei fand sich dabei allzu häufig als eine Institution wieder, welche die Konflikte mit den Bürgerinnen und Bürgern ausbaden musste, weil eine unflexible und auf nicht mehr haltbaren Positionen verharrende Politik nicht angemessen reagieren konnte oder wollte. Die materielle und geistige Aufrüstung im Demonstrationsgeschehen der letzten Jahrzehnte hat in dieser Mechanik einen wesentlichen Grund.
Ich möchte an dieser Stelle betonen, dass die Polizei in Schleswig-Holstein in den letzten Jahren einen ganz überwiegend moderaten Kurs eingeschlagen hat und in der Praxis bereits wesentliche Elemente einer Demonstrationsbefriedung in unserem Sinne vorweggenommen hat.
Die soeben aufgezeigten Beispiele zeigen aber auch, dass die erwähnten Auseinandersetzungen und Demonstrationen in einem sehr starken Maße politische Verhältnisse und Entscheidungen der Bundesrepublik positiv beeinflusst haben. Die Versammlung i.S.v. Art. 8 GG ist deshalb als Instrument der politischen Willensbildung im außerparlamentarischen Raum gar nicht hoch genug einzuschätzen. Das Demonstrations- und Versammlungsrecht hat sich als absolut erforderliches und effektives Instrument zur Korrektur und positiven Beeinflussung politischer Entscheidungen im Rahmen der repräsentativen Demokratie vielfach bewährt.
Aus diesem Blickwinkel heraus ist das bislang in Schleswig-Holstein fortgeltende Versammlungsrecht des Bundes, das auf das Jahr 1953 zurückgeht, völlig unzureichend. Es hat die maßgeblichen Leitentscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, namentlich den sog. Brokdorf-Beschluss von 1985, nicht nachvollzogen und atmet nach wie vor den Geist der Adenauerzeit. Das Bundesversammlungsgesetz überbetont den Eingriff und die Einschränkung. Das Gesetz spiegelt nicht den Wert und die Funktion der Versammlung in einer modernen Demokratie wieder. In dieser Einschätzung sind sich so gut wie alle Fachleute und auch Polizeiwissenschaftler einig.
Aus diesem Grund reichten wir Grüne bereits zum Ende der letzten Wahlperiode den Gesetzesentwurf für ein Versammlungsfreiheitsgesetz ein. Schon dieser Entwurf löste lebhafte, aber auch kontroverse Debatten aus. Er brachte unseren freiheitlichen und auf Stärkung und Unterstützung des Versammlungsrechts basierenden politischen Willen in vielen Punkten sehr engagiert zum Ausdruck. Daran werden wir in dieser Wahlperiode anknüpfen.
Der Koalitionsvertrag gibt die Richtung an:
- Kooperationsgespräche,
- Konfliktmanagement der Polizei,
- eine unabhängige Demonstrationsbeobachtung und
- höhere Anforderungen an die technischen Überwachungs- und Aufzeichnungs-
befugnisse der Polizei bei Demonstrationen.
Wir begrüßen, dass die FDP den Faden jetzt frühzeitig aufgenommen hat. Der vorliegende Gesetzentwurf schafft eine akzeptable Arbeitsgrundlage, dies auch deshalb, weil er zu ca. 90 % wörtlich an den ,,Musterentwurf eines Versammlungsgesetzes" des Arbeitskreises Versammlungsrecht von Enders, Hoffmann-Riem, Kniesel, Poscher und Schulze-Fielitz aus dem Jahr 2011 anknüpft. Es handelt sich bei den Autoren um Verfassungsrichter, Verwaltungsrichter und Professoren, die sich intensiv mit dem Versammlungsrecht befasst haben und die entsprechende Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts maßgeblich beeinflusst haben. Der Musterentwurf gewährleistet daher zumindest den Anschluss an die Maßgaben der Brokdorf-Entscheidung, der Magna Charta des Versammlungsrechts.
Wir freuen uns auf die kommenden Anhörungen und Diskussionen im Innen- und Rechtsausschuss und vor allem auf das Ergebnis eines rundum in unserem Sinne optimierten Versammlungsfreiheitsgesetzes, welches wir dann endlich in der schleswig-holsteinischen Rechtswirklichkeit umsetzen können.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
zurück